Jahresbericht 2021 der Abschiebungsbeobachtung veröffentlicht

Kommentiert von Vertretern des Forums Flughäfen in NRW

Düsseldorf. Mit 2171 vom Flughafen Düsseldorf aus abgeschobenen Menschen im Jahr 2021 hat deren Zahl nach einem pandemiebedingten Rückgang 2020 (1767 Personen) wieder deutlich zugenommen. Darüber – ebenso wie über die Begleitumstände – gibt der 52-seitige, mit Beispielfällen und Grafiken versehene Bericht der unabhängigen Abschiebungsbeobachtung für 2021 Auskunft. Gesundheitliche Probleme bei Menschen, die abgeschoben werden sollen, aber auch Kindeswohlfragen in Abschiebungssituationen bleiben Themenschwerpunkte. Der komplette Jahresbericht 2021 steht ab sofort zum Download zur Verfügung und wird im Folgenden von Vertreterinnen und Vertretern des Forums Flughäfen in Nordrhein-Westfalen (FFiNW) kommentiert.

Abschiebungsbeobachtung: Vulnerable Personen besser schützen

„2021 wurden von den Flughäfen in NRW 2361 Personen abgeschoben beziehungsweise im Rahmen der Dublin III-VO überstellt. Die Abschiebungsbeobachtung NRW beobachtete davon 812 Abschiebungen von Einzelpersonen beziehungsweise Familien. Bei 14,7 Prozent der beobachteten Fälle wurde Diskussionsbedarf festgestellt, d. h. es führten Problemanzeigen oder kritische Nachfragen zur Berichterstattung.

Schwerpunktmäßig wurden 2021 im Forum Flughäfen in NRW vor allem Probleme im Zusammenhang mit ,Abschiebung und Gesundheit‘ diskutiert, unter anderem in Bezug auf die Kommunikation medizinischer Informationen, die Bewertung der Flugreisefähigkeit sowie Abschiebungen im Kontext von stationärer Behandlung. Auffällig war, dass Bedarfe von vulnerablen Personengruppen wie Menschen mit Behinderung oder Schwangere nicht immer hinreichend berücksichtigt wurden. Aus Sicht der Abschiebungsbeobachtung ist dem Schutz von vulnerablen Personengruppen vor allem in Zeiten einer weltweiten Pandemie besonders Rechnung zu tragen, was bei der Umsetzung von Abschiebungen (insbesondere Sammelchartern) etwa mit Blick auf Infektionsschutzmaßnahmen nicht immer erfolgte.

2021 wurden von der Abschiebungsbeobachtung mehrere Fälle beobachtet und dokumentiert, bei denen es aus ihrer Sicht zu Kindeswohlgefährdungen kam, vor allem im Zusammenhang mit den Themen Miterleben potenziell belastender Situationen, Anwendung von Zwangsmitteln gegenüber Minderjährigen, Zugriff zu Nachtzeiten, Abholung aus stationärer Jugendhilfe und Familientrennungen. Diese Fälle wurden dem Flughafenforum vorgelegt und es wurden Lösungsansätze wie das Einbeziehen von Kinderschutzbeauftragten diskutiert.

Wiederholt berichteten Rückzuführende der Abschiebungsbeobachtung von grober oder unfairer Behandlung durch Behördenvertretende. Hierzu zählen beispielsweise abwertende Äußerungen, Fesselungen und Abschiebung aus der Ausländerbehörde heraus nach terminlicher Bestellung dorthin (z. B. zur Duldungsverlängerung). In einzelnen Fällen wurde die Abschiebungsbeobachtung selbst Zeugin unangebrachten Verhaltens gegenüber Rückzuführenden.“

Ilka Hahn, Leiterin der Stabsstelle Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit des Diakonischen Werks Rheinland-Westfalen-Lippe, Telefon 0211 6398-306 oder pressestelle@diakonie-rwl.de

Einen Bericht über die Arbeit der Abschiebungsbeobachtung finden Interessierte auch auf der Website des Diakonischen Werks Rheinland-Westfalen-Lippe. Dort stehen zudem Fotos zum Download zur Verfügung.

Moderator des FFiNW: Keine Abschiebung um jeden Preis

„Die Abschiebungsbeobachtung und das sie begleitende Forum Flughäfen in NRW haben in den 21 Jahren ihres Bestehens vieles bewegt. Das Beobachtungsverfahren hat zu mehr Transparenz geführt und von ihm gingen Impulse aus für Maßnahmen, die die Vorbereitung und Durchführung von Abschiebungen aus der Sicht aller Beteiligten verbessert haben. Abschiebungen werden heute im Blick auf die Situation am Flughafen in der Regel gut vorbereitet und ordnungsgemäß vollzogen.

Die verstärkte Abschiebeorientierung auf Seiten der Politik während der vergangenen Jahre und der entsprechende gesetzliche Druck auf den Vollzug von Abschiebungen haben sich in verschiedenen Bereichen problemverstärkend ausgewirkt. Abschiebungsbeobachtung wird so auch zu einem Seismographen für gelingende oder misslingende Gesetzgebung. Hier sehen wir als Kirchen und Diakonie etwa bei der Abschiebung Kranker, bei Familientrennungen und der Beachtung des Kindeswohls einen Handlungsbedarf seitens der Politik, damit der Grundsatz gewahrt bleibt: Keine Abschiebung um jeden Preis!

Die Abschiebungsbeobachtung galt europaweit lange als innovativ („Düsseldorfer Modell“) und führte 2008 mit zur Aufnahme eines unabhängigen Monitorings in die europäische Rückführungsrichtlinie. Andere EU-Staaten haben längst ein Abschiebungsmonitoring implementiert mit stärkeren Befugnissen für die Abschiebungsbeobachtung. Deutschland hat bisher eine Umsetzung der Rückführungsrichtlinie abgelehnt. Eine gesetzliche Regelung im Sinne der Rückführungsrichtlinie ist dringend erforderlich.

Der Koalitionsvertrag von CDU und Bündnis 90/Die Grünen sieht eine personelle Stärkung der Abschiebungsbeobachtung vor. Hier suchen wir das Gespräch mit der NRW-Landesregierung, um eine qualitative Weiterentwicklung der Abschiebungsbeobachtung zu erreichen.“

Kirchenrat Pfarrer Rafael Nikodemus, Moderator des FFiNW, Telefon 0211 4562-218 oder rafael.nikodemus@ekir.de

 NRW-Flüchtlingsministerium: Standards kontinuierlich verbessert

„Stellvertretend für das Flüchtlingsministerium möchte ich den nordrhein-westfälischen Abschiebungsbeobachterinnen für ihre Arbeit sowie ihr Engagement bei der Erstellung des Jahresberichts 2021 danken.

Rückführungen und freiwillige Rückkehr sind auch Teil von Migrationspolitik, die die Landesregierung rechtstaatlich, fair und humanitär verantwortlich gestalten wird. Illegale Einwanderung ist allerdings immer auch ein Phänomen mangelnder legaler Wege, hier anzukommen. Unser Asyl- und Einwanderungsrecht bietet dafür zu wenig Perspektiven. Deswegen ist es richtig, dass der Bund da nun umsteuert – mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz, dem Chancenaufenthaltsrecht und dem Staatsangehörigkeitsrecht. Natürlich kann weiterhin am Ende von rechtsstaatlichen Verfahren die Rückführung stehen.

Uns ist bewusst, dass Rückführungen für alle am Prozess Beteiligten nicht nur operativ, sondern auch emotional herausfordernd sind. Zudem stand das Jahr 2021 unter dem Eindruck der Pandemie. Diese hat in vielerlei Hinsicht auch Einfluss auf den Rückführungsbereich genommen.

Gleichwohl ist es in den vergangenen Jahren gelungen, die Standards im Rückführungsbereich zu verbessern: So sind die Abläufe weiter optimiert und die beteiligten Stellen für bestimmte Problemstellungen stärker sensibilisiert worden. Diesen Weg wollen wir weiter fortsetzen.

Wenngleich es im Rückführungsbereich – wie in übrigen Bereichen –Optimierungspotenziale gibt, freut es mich, dass die Abschiebungsbeobachterinnen erneut zu dem Resümee gelangen, dass auch in ihrer Wahrnehmung ,Rückführungsmaßnahmen, die über Flughäfen in NRW vollzogen werden, in der Regel gut vorbereitet sind und ordnungsgemäß ablaufen‘.

Dies ist auch das Ergebnis eines konstruktiven Dialogs mit allen und im Sinne aller am Rückführungsprozess Beteiligten. Ich bin zuversichtlich, dass wir zukünftig diesen Weg weitergehen werden und kommenden Herausforderungen auch künftig in einer vertrauensvollen Zusammenarbeit begegnen können.“

Carola Holzberg, Leiterin der Abteilung 5 des Ministeriums für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen, Pressestelle des Ministeriums: Telefon 0211 837-2503 oder presse@mkjfgfi.nrw.de

 Bundespolizei begrüßt Beobachtung aus neutraler Sicht

„Der primäre Auftrag der Bundespolizei ist, die Rückzuführenden sicher in ihre Heimatländer zu bringen. Hierbei orientiert sich die professionelle Durchführung stets am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowie der Wahrung der Menschwürde und humanitärer Standards. Die Bundespolizei setzt für diese besondere Aufgabe speziell ausgebildetes Personal (Personenbegleiter/-innen Luft) ein. Seit vielen Jahren begleitet das FFiNW (Forum Flughäfen in NRW) den Prozess der Rückführung und beleuchtet die Aufgabenwahrnehmung aus neutraler Sicht. Dies wird seitens der Bundespolizei begrüßt und die größtmögliche Transparenz gewährleistet.“

EPHK Jens Flören, Pressestelle der Bundespolizeidirektion Sankt Augustin, Telefon 02241 238-1444 oder bpold.sanktaugustin.oea@polizei.bund.de

  • 23.12.2022
  • Cornelia Breuer-Iff
  • Anne Orthen/Diakonie RWL